Im Teil 1 haben wir die Frage behandelt, was die (kath.) Kirche über die Irrtumsfreiheit der Bibel lehrt.
In diesem Teil werden wir untersuchen, was die Kirche lehrt, um biblischen “Fundamentalismus” zu vermeiden und auf den Vorwurf eingehen, dass die Bibel naturwissenschaftliche und historische Fehler beinhalten würde.
1) Das Problem mit der buchstäblicher Interpretation
Die Kirche lehrt, dass die Bibel irrtumsfrei ist in allem, was die heiligen Schreiber auszusagen beabsichtigten. Die Päpstliche Bibelkommission macht in “Die Interpretation der Bibel in der Kirche” von 1993 die wichtige Unterscheidung zwischen dem wörtlichen Sinn der Bibel und einer buchstäblichen Interpretation.
Der wörtliche Sinn ist “das, was die inspirierten Autoren direkt ausgedrückt haben.” Um zum wörtlichen Sinn zu gelangen, muss man den Text gemäß den literarischen Gepflogenheiten der damaligen Zeit, der Absicht des Autors, der literarischen Gattung und dem historischen Kontext interpretieren. Eine buchstäbliche Auslegung ignoriert diese Betrachtungen.
Wenn Jesus z. B. sagt, dass es besser sei, seine Hand abzuhauen, falls sie einen zur Sünde verleitet (Mk 9,43), so benutzt er eine literarische Metapher. Die buchstäbliche Auslegung würde jedoch diese Lehre Christi wörtlich nehmen und fälschlicherweise dazu zu raten, Teile des Körpers abzuschneiden falls sie einen zur Sünde verführen sollten!
Genauso bedeutet es nicht, dass Gott tatsächlich nachts schläft und morgens aufsteht, wenn Ps 73,20 davon spricht, dass Gott aufwacht. Stattdessen ist das eine bildhafte Sprache, die beschreibt wie Gott anfängt zu handeln, nachdem er zuvor scheinbar auf eine Situation nicht reagiert hatte ähnlich wie ein Mensch, der aus einem Schlaf aufwacht.
2) Das Problem mit naturwissenschaftlichen Aussagen
Bzgl. naturwissenschaftlicher Aussagen lehrt die Kirche, dass die heiligen Autoren nicht unbedingt beabsichtigten Physik, Astronomie oder Chemie zu lehren. Wenn z.B. in der Bibel beschrieben wird, dass sich die Sonne um die Erde bewegt (vgl. Ps 19, 4-6; Koh 1, 5), dann beabsichtigte der biblische Autor nicht, Lektionen in Astronomie zu geben. Eine buchstäbliche Bibelauslegung würde die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse leugnen, die belegen, dass die Erde um die Sonne kreist.
Stattdessen beabsichtigten die Verfasser, das wiederzugeben, was sie durch ihre Sinne wahrnahmen. So erklärte auch Papst Leo XIII:
(…) dass sie daher, statt direkt Naturforschung zu betreiben, die Dinge manchmal lieber auf bildliche Weise beschreiben und behandeln, oder auch so, wie es die vulgäre Ausdrucksweise in jener Zeit mit sich brachte, eine Sprache, die noch jetzt bei vielen Dingen im alltäglichen Leben, selbst unter den größten Gelehrten im Gebrauche ist. Da aber die Volkssprache die sinnfälligen Dinge anfänglich im eigentlichen Sinne ausdrückt, hat der heilige Schriftsteller (…) in ähnlicher Art „nach der sinnlichen Erscheinungsform berichtet“ oder das mitgeteilt, was Gott selbst, zu den Menschen redend, nach ihrer Fassungskraft und nach menschlichem Sprachgebrauch ausgedrückt hat. (Providentissimus Deus, Nr. 18).
Somit gaben die biblischen Autoren ohne Irrtum das wieder, was sie beabsichtigten zu berichten, nämlich nicht Naturwissenschaft, sondern das was sie tatsächlich mit ihren Sinnen beobachteten.
Diese Prinzipien können auch auf andere Bibel-Passagen angewandt werden, denen häufig nachgesagt wurde im Licht der modernen Wissenschaft fehlerbehaftet zu sein, um die Irrtumslosigkeit der Bibel aufzuzeigen.
3) Das Problem mit historischen Angaben
Genauso müssen wir bei historischen Aussagen die Absicht des Verfassers berücksichtigen.
Wenn der Verfasser beabsichtigt, eine historische Geschichte zu erzählen, dann werden die tatsächlich geschehen Ereignisse korrekt wiedergegeben. Etwas anderes ist es, wenn der Verfasser beabsichtigt, eine Allegorie oder Parabel in eine Erzählung einzuarbeiten.
Z. B. wird in Lk 10, 29-37 berichtet, dass Jesus einem Schriftgelehrten die Parabel vom “Barmherzigen Samariter” erzählt. Eine buchstäbliche Interpretation würde die Parabel aus dem Zusammenhang reißen und folgern, dass Lukas über ein historisches Ereignis berichten würde. In diesem Fall wollte Jesus seinen Jüngern jedoch lediglich eine lehrreiche Geschichte erzählen. Worüber wir aber sicher sein können ist, dass Jesus diese Parabel wirklich so erzählt hatte wie von Lukas berichtet.
Das Problem mit Wundern und mit (scheinbaren) Widersprüchen folgt in Teil 3.
Quellen:
- “A Catholic Understanding of Biblical Inerrancy” (2004-2014), Catholics United for the Faith (teilweise wörtlich in dt. Übersetzung wiedergegeben)
- Enzyklika “Providentissimus Deus” (Papst Leo XIII, 1893)
- “Die Interpretation der Bibel in der Kirche” (Päpstliche Bibelkommission, 1993)
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